Es war ein warmer Samstag am September, als ich im Flughafen Paris-Charles-de-Gaulle ankam. Aus Spanien hatte ich gelernt mich an den Schildern zu orientieren. Mein Französisch reichte ohnehin nur für ein „Bonjour“ und „Merci Beaucoup“. Ich schlängelte mich, durch die Menschenmenge, nach draußen zu den Taxis. Ich war gerade dabei in eines einzusteigen, als mir ein gravierender Fehler einfiel. Ich hatte kein Zielort. Ich war so darauf versessen wegzukommen, dass ich vergaß, mir ein Dach über den Kopf zu besorgen. Panik breitete sich in mir aus. Mein Körper fing unweigerlich an zu zittern und tausende Gedanken schossen mir durch den Kopf. Die meisten Thematisierten das Thema Tod und Beleidigungen gegen mich selbst. Wie konnte ich wieder denselben verdammten Fehler gemacht haben? Ich bebte vor Wut und Panik. Doch plötzlich erinnerte ich mich an das Video mit den drei Jungs zurück und fragte mich selbst: ›Was würden die Jungs jetzt machen?‹ und schon wusste ich, was ich zu tun hatte. Ich packte meinen kleinen Koffer, begab mich zum Bordsteinrand und hob den rechten Daumen in die Höhe. Das sollte das Erste von unzähligen Male sein, in denen ich trampe oder автостоп (gesprochen: Aftastop) im Russischen. Eine bunte Mischung aus Gefühlen tobte in mir, während ich da so stand. Aufregung und Neugier, beim Gedanken wer wohl möglich anhalten würde. Eine schöne Frau? Ein mordlustiger Killer? Dieser Gedanke versetzte mich wieder in Panik und Angst.
Doch ich konnte mich nicht mehr rühren. Mein Körper musste vor lauter Adrenalin erstarrt sein. Bevor ich wieder Herr meiner Sinne wurde und den Arm senken konnte, hielt eine schwarze Mercedes E-Klasse an. Sie können sich nicht vorstellen, wie nervös ich war. Da stand ich, ein einundfünfzig jähriger Mann und kämpfte gegen meine Blase an. Die Tür öffnete sich und ein dunkelhäutiger junger Mann, mit zurückgebunden Dreadlocks, lächelte mir entgegen und fragte mich etwas auf Französisch. Ich war sprachlos. Selbst wenn ich sprechen könnte, wüsste ich keine Antwort. Er sah mich mit seinen großen Augen schweigsam an und deutete mir mit dem Kopf einzusteigen. Ich sah hektisch umher und wusste nicht, ob ich nach Hilfe schreien oder es einfach nur ablehnen sollte. Doch etwas Verrücktes geschah. Leben drang wieder in mir ein und mein Körper rührte sich und brachte mich, gruseliger Weise, in Richtung Beifahrertür. Ich versuchte, meinen Körper, zu befehlen anzuhalten, wegzurennen oder sich tot zu stellen. Alles, nur nicht in das Auto zu steigen. Er stieg aus, nahm meinen Koffer und ehe ich mich versah, lag mein Gepäck im Kofferraum und ich saß neben Chris. Einem, zweiunddreißig jährigen, Senegalesen. Sein Englisch war sehr gut. Mir gefiel der französisch-afrikanische Akzent. Meine ersten Gedanken, die Tür aufzureißen und aus einem fahrenden Auto zu springen, lösten sich sehr schnell. Chris war ein sehr gesprächiger und sympathischer Mann. Ich vergesse nie seine erste Frage, als er hörte, ich sei Amerikaner: »Sind die amerikanischen Frauen, so locker wie man sagt?« Okay er sagte nicht „locker“, aber ich ziehe es vor nicht in Gossensprache zu verfallen, also bleiben wir bei locker. Ich wusste nicht, dass man so über unsere Frauen dachte. Eigentlich sogar, dachte ich so über die Französinnen. Die Filme und Gerüchte, daheim vermittelten mir immer dieses Bild. Jedenfalls, sah ich ihn schmunzelt an und sagte: »Nun ja, wenn du eine kennenlernen solltest – musst du sie mir unbedingt vorstellen.« Er sah mich kurz schweigsam an und ich hatte schon Angst etwas Falsches gesagt zu haben, doch dann begann er zu lachen. Er lachte wie wild und ich konnte nicht anders, als mit zu lachen. Er fragte mich weiter nach meinem Grund für meine Reise. Da ich nicht wie ein Irrer erscheinen wollte, verschwieg ich ihm den wahren Grund und erzählte, stattdessen von meiner Lust ein wenig von der Welt zu sehen. Er verstand den Wunsch und gestand, dass es ihm genau so ginge. Nur hielten ihn Frau und Kinder, davon ab. Es sei ihm viel zu teuer und er schätzte mich, als Vermögenden Mann ein. Wenn er nur gewusst hätte, dass mein Geld für einige Wochen mit kaltem Wasser und abgestandenen Brot, reichen würde. So meine Einschätzung. Eine Vermutung, die sich, als absolut falsch, herausstellen sollte. Doch mehr dazu, später. Er sah mich freundlich an und stellte mir die Gretchenfrage: »Wo willst du hin, Tom?«
Ich wusste nicht, was ich darauf antworten sollte. Ich kannte keinen Zielort und ich konnte es mir nicht leisten, in irgendeinem Hotel zu nächtigen. Ich hatte ja schließlich ein Budget, dass es einzuhalten galt. Mir blieb nichts anderes übrig und ich gestand ihm, dass ich ziellos und überfordert war. Er überlegte einige Sekunden und bot oder eher, drängte mir auf, beim ihm zu schlafen. So lange bis ich eine Bleibe gefunden habe. Was antwortet man auf so etwas? Da bot mir tatsächlich, dieser junger Mann ein Platz in seinen vier Wänden, bei seiner Familie. Mir! Einem völlig Fremden. So gut mir der Gedanke auch gefiel, lehnte ich ab. Doch Chris, gab sich nicht zufrieden. Er sagte in Senegal, sei es eine Beleidigung, die Gastfreundschaft von Jemanden abzulehnen. Es sei selbstverständlich Leuten in Not, seine Hilfe an zu bieten. Mir gefiel die Einstellung. Bei mir zu Hause, ließe man eher eine Darmspieglung an sich vollziehen, bevor man einen fremden Mann und seinen Koffer bei sich aufnimmt. Lange Rede, kurzer Sinn. Ich ging auf das Angebot ein und wir fuhren in Paris hinein. Was eine Stadt. Kein Wunder, dass man sie die „Stadt der Liebe“ nannte. Die prächtigen und schönen Häuser und Alleen. Wir fuhren gemächlich entlang der Avenue des Champs-Élysées . Es war schon später Nachmittag, der Himmel etwas dunkler und darum, bereits die Straßenbeleuchtung an. Es war einfach herrlich, links und rechts die Reihen an beleuchtenden Bäume zu sehen und vor uns dieses riesige Tor, dass sich nachher, als Arc de Triomphe rausstellen sollte. Was ein majestätischer Anblick. Sie wissen nicht, was für eine Energie meinen Körper durchströmte. Ich spürte wie eine Gänsehaut, meinen kompletten Körper durchwanderte. Chris konnte es nicht wissen, aber seine großzügige Geste bedeutete mir unendlich viel.
Wir hielten in einem kleinen Wohnort an. Die Straße war mit Kopfsteinpflaster asphaltiert und kleine Geschäfte wie eine Bäckerei – auf Französisch „Boucherie“ – brachten Leben in dem netten Viertel. Chris parkte das Auto vor einem kleinen Mehrfamilien Haus. Es sah – na, ja – ganz in Ordnung aus. Er lächelte mich an und gab mir zu verstehen, dass wir angekommen seien. Bei dieser Botschaft, sank mir das Herz in die Hose. Bis zum Zeitpunkt, an dem wir anhielten, war alles noch reine Fiktion. Es gab nur Chris, mich und die französischen Straßen. Jetzt aber nahm, alles Gestalt an und ich realisierte auf einen Schlag, worauf ich mich da eigentlich einlasse. Ich sah Chris an und sagte ihm, dass es besser sei, wenn ich mich woanders umsehe. Er habe mir schon so viel geholfen, da brauchte er sich diese Umstände nicht auf zumuten, aber verdammt, diese Senegalesen lassen nicht locker. Ein starkes Volk. Er ignorierte einfach lächelnd meine Worte, stieg aus und nahm meinen Koffer aus dem Kofferraum. Ich fühlte mich wie bestellt und nicht abgeholt. Als wäre ich nur Zuschauer vom Geschehen. Chris ging derweil mit dem Koffer dar kurze Treppenstück hinauf und wartete auf mich vor der Tür. »Tom? Es gibt auch gemütlichere Plätze, als der Beifahrersitz«, rief er mir spitz zu.
Ich wusste darauf keine Antwort. Schon klar, dass mein Sitzplatz kein Grand Hyatt war, aber er war zu mindestens sicher. Ich kannte ihn mittlerweile. Doch hatte ich keine Ahnung, was da oben auf mich warten würde. Aber der Körperparasit griff wieder an und ich stieg fremdgesteuert aus und begab mich zögerlich zu ihm die Treppen hinauf. »Es wird dir gefallen«, munterte er mich auf und öffnete die Tür. »So alt bin ich nicht«, erklärte ich ihm und nahm ihm meinen Koffer ab. Ein bisschen Selbstwürde, darf man ja haben, oder? Er lächelte nur und wir beide liefen gemeinsam, das Treppenhaus, zum dritten Stockwerk hoch. Alter Schwede, haben die Stufen geknarzt. Ich hatte Angst, jede Sekunde einbrechen zu würden. Und die Geräuschkulisse. Es klang ganz so, als seien die Wände aus Papier und die Familien dahinter, aus zwanzig Personen bestehend, die seltsamerweise, alle Zuhause waren. Chris schien, davon nichts mehr zu merken. Musste wohl die Macht der Gewohnheit seien. Er schien, meine Gedanken gelesen haben, denn er wandte sich mir zu und sagte: »Viele Kinder hier. Schöner Ort für Familien. Daran werden Sie sich schnell gewöhnen«. Nette Ansprache und nein. Ich habe mich, die vollen zwei Wochen in Paris, nicht daran gewöhnen können. Es gibt halt schönere Sachen, als vom Liebestechtelmechtel der Nachbarn wach gehalten zu werden und als Wecker, das Geschreie von, Chris Sohn, Leo zu hören. Leo hatte eine Leidenschaft, seine Klangvokale sehr früh am Morgen zu erproben. Vier Uhr morgens, war seine Lieblingszeit. Nun ja, was soll man einem neunmonatigen Musiker schon abverlangen? Doch zurück zur Geschichte. Ich schweife viel zu oft ab. Verzeihen Sie mir, bitte. Oh Gott! Ich tue es ja schon wieder. Zurück zur Erzählung. Chris und ich standen vor einer weißen Tür. Die Farbe war am Abblättern und dahinter hörte man eine Frau auf Französisch Fluchen und Kindergetrampel. Jetzt wo ich, dass so lese muss ich Schmunzeln. Mein erster Gedanke, bei Raquel Stimme, war: ›Oh mein Gott! Das überlebe ich nicht.‹ Doch sie war eine so liebevolle und starke Frau gewesen. Ich denke heute noch oft an sie und frage mich ... verdammt ich tue es schon wieder. Chris klopfte an der Tür. Ich atmete tief ein und aus, als er sich plötzlich nervös zu mir wandte. »Kein Wort davon, dass du Amerikaner bist, Tom! Bitte. Sie ist da empfindlich«, belehrte er mich panisch. Mehr als ein »Was?«, brachte ich nicht heraus, denn die Tür wurde ruckartig aufgerissen und eine schöne Senegalesin, schaute uns beide mit einem finsteren Blick an.
»Hallo, Mon Cherie.«
»Deine Cherie, kannst du dir sonst wo hinstecken? Wo warst du nur gewesen und wer ist der Typ neben dir?«
Sie wundern sich bestimmt. Nein, ich konnte, das nicht verstehen, aber das sind die Sätze, die ich aus ihrem Wortton und ihrem Blick, entnommen haben. Ah und ich habe mir das Szenarium nachher, nochmal erklären lassen, nach dem wir uns alle besser verstanden. Chris erklärte ihr auf Englisch, dass ich ein alter Freund von ihm sah. Sie sah ihn energisch an und betrachtete mich kurz, als wäre ich eine defekte Fernbedienung und das zur Zeit ihrer Lieblingssendung. Sie fuhr ihn auf Französisch an und er verteidigte sich mit den Worten: »Er spricht kein Französisch, weil er aus dem Ausland ist.«
Sie wanderte ihren feurigen Blick zu mir. Herr Gott, hatte ich Angst. Ich habe mittlerweile mit Löwen ein Stück Fleisch aufteilen müssen, aber das war nichts im Vergleich zu ihrem Blick. Nichts für Ungut Raquel. Wir kannten uns ja noch nicht.
»Wo kommen sie her, Monsieur?«, fuhr sie mich an. »Aus Ame ... Armenien«, korrigierte ich mich hastig. Armenien? Wie um alles in der Welt bin ich auf Armenien gekommen? Chris sah mich zu Recht verwundert an. Ich würde mich ja selbst auslachen, doch musste ich mich zu sehr auf trockene Hosen konzentrieren. Sie bemerkte frech, dass ich nicht aussah wie einer aus Armenien. Wo um Himmelswillen wusste sie, wie Armenier aussehen? Ich wusste, zu dem Zeitpunkt, nicht mal selbst, wie sie aussahen. Mit verunsicherter Stimme brachte ich hervor, dass ich so Etwas öfters höre. Bitte haben Sie Nachsicht mit mir. Ich konnte schon, als Kind schlecht Lügen. Mein Vater roch es Meilen gegen den Wind, wenn ich was vertuschen wollte. Lügendetektoren, wären bei mir reine Geldverschwendung. Aber zurück zu Chris und Raquel. Ein Baby fing an, laut zu schreien, und Raquel schloss wütend die Augen. Chris trat einen Schritt an sie heran, sagte etwas auf Französisch, gab ihr einen Kuss auf die Stirn und verschwand in der Wohnung. Da ließ er mich wirklich mit ihr allein. Bitte nochmals, um Nachsicht Raquel – wie gesagt; wir kannten uns noch nicht. Jedenfalls, blickte sie mich streng an. Ich schluckte nervös und sie fragte ob ich der Eiffelturm sei. Ich brachte ein überraschtes »Nein« hervor und bekam prompt die Aufforderung nicht mehr vor ihrer Tür zu stehen und hinein zu kommen. Bei diesen Worten verabschiedeten sich, jegliche Hoffnung und Selbstwürde. Ich fühlte mich, wie ein kleiner Junge, der zu spät nach Hause kam. Und das, obwohl ich der Ältere von uns beiden war. So geschah es, dass ich ihrem Befehl zögerlich Gehorsam leistete und eintrat. Sie schloss kopfschüttelnd die Tür hinter mir.
Es war eine recht übersichtliche und angenehme Wohnung. Ich hatte wirklich mit dem Schlimmsten gerettet, aber Raquel hatte einen fable für Sauberkeit und stilvolle Einrichtung. Ein Faible, den nicht viele meiner späteren Gastgeber mit ihr teilten. An den Wänden hingen einige Familienbilder und über einer kleinen Kommode hing ein impressionistisches Gemälde eines Parisers Cafés. Ich mochte das Bild sehr. Trotz der ganzen wirren und unterschiedlichen Farben entstand ein einheitliches und wundervolles Gemälde. So in etwa, verhält es sich mit uns Menschen. Egal woher wir stammen. Welche Glaubenskulturen wir verfolgen. Am Ende ergeben wir gemeinsam eine Spezies. Eine Familie. Und ... Verdammt, Tom. Zurück zur Geschichte. Aus einem Zimmer in der linken Raumhälfte kam ein kleines Mädchen schreiend, mit einem Ball in der Hand, auf mich zu gerannt. Da ich nicht wusste, wie ich mich verhalten sollte, entschied ich mich einfach stehen zu bleiben. Dumme Entscheidung, wie sich rausstellen sollte. Sie machte vor mir halt und schmetterte mir den Ball mit voller Wucht in den Schritt. Nicht mal der missglückte Ritt auf dem Kamel in Ägypten oder Yuris Rechte in der Kneipe tat mir so weh. Raquel lächelte auf, während Chris von hinten angerannt kam, ermahnte sie nicht dauernd Bälle in die Tabuzone zu werfen und forderte sie auf »Pardon« zu sagen. Madeleine, aber entschied sich, mit ihren zuckersüßen sechs Jahren, für ein herzhaftes Kichern.
Chris entschuldigte sich wehmütig und ich beruhigte in mit den Worten: »Schon gut. Kinder.«
Raquel fragte mich, ob ich auch Kinder hätte und ich gestand ihr zwei davon zu haben.
In einem leicht sarkastischen Ton, antwortete sie, dass sie Geschenke Gottes waren.
»In der Tat ...«, fing ich an, bis mich Madeleine mit einem zweiten Wurf in den Schritt unterbrach. Ich weiß nicht, wie sie es tat, aber sie traf, jedes Mal, ins Schwarze. Gott. Die Schmerzen waren unbeschreiblich. Sie hatte für eine Sechsjährige einen extrem guten Wurf. Ich ging leicht in die Knie und bettete, dass der Schmerz so schnelle gehen möge, wie er kam.
»Madeleine!«, brachte Chris schockiert hervor. Madeleine und Raquel mussten kichern. Ich riss mich, Chris zu Liebe, zusammen und richtete mich lächelnd auf.
Chris nahm Madeleine in die Arme und stellte mich mit stolzer Stimme, als den vorübergehenden Mitbewohner vor. Sie brachte ein zuckersüßes „Bonjour“ hervor und ich vergaß, schnell, dass sie mich, fast um ein Ei erleichtert hätte. Ich erkundigte mich, woher sie so gut englisch verstand und Chris erzählte mir, das sie in ein englischsprachiges Kindergarten ginge. Sie solle so international aufgestellt werden. Ich fand diese Einstellung, höchst lobenswert. Beide verabschiedeten sich von mir und er brachte sie ins Bett. Raquel wandte sich zu mir und meinte im kühlen Ton, ob ich mich frisch machen möchte. Als ob sie sich mit Carla abgesprochen hatte. Aber nur, damit Sie es wissen, ich war und bin kein unhygienischer Mensch. Die Tätigkeiten Duschen und Zähneputzen sind auch mir ein Begriff. Zurück zur Story. Sie wollte mich bei vollem Namen ansprechen und ich entgegnete, dass »Tom« reiche. Mein Nachname hätte unnötige Fragen aufgewirbelt und Chris hatte mich ja nicht ohne Grund gewarnt. Sie nahm den Vorschlag an und deutete mir mit der Hand, wo das Bad sich befände. Ich nickte stumm und begab mich dorthin. Es war eines von diesen Badezimmern mit einem großen Fenster, hin zum Nachbarsgebäude. Alles war recht altmodisch. Die Wand war, mit einem weiß-rot gestreiftem Muster tapeziert und eine kleine Vase mit einer Lilie stand auf dem Spülbecken. Keine Ahnung warum, aber ich fühlte mich wie in Léon – der Profi. Sie wissen, der Film mit Jean Reno und Natalie Portman. Jedenfalls, sah ich aus dem Fenster runter auf dem Hof. Ein älteres Pärchen aß dort an einem kleinen Tisch und ein Hund tollte auf der Wiese. Aus irgendeinem Zimmer, drang angenehme französische Musik in den Hof und gab mir ein erstes Gefühl, wirklich in Paris angekommen zu seien. Nach meinem kurzen Aufenthalt im Bad machte ich mich zurück ins Wohnzimmer. Chris wartete dort schon auf mich und berichtete mir, dass er mein Gepäck bereits in mein Zimmer gebracht hatte. Danach begaben wir uns ins Esszimmer. Ich erwartete, klischee-haft, Baguette mit Käse und Wein. Stattdessen gab es „Yassa Poulet“. Gebratenes Hühnchen mit einer Zitronengras Essenz. Hinzu kamen Lebensmittel wie Reis, Karotten, Zwiebeln und einer abschließenden Tomaten-Chili-Marinade. Eine typisch senegalische Speise. Ich greife noch heute auf das Rezept zurück, dass mir Raquel gab. Es schmeckte einfach fantastisch. Raquel erkundigte sich nebenläufig, ob meine Frau darüber informiert sei, dass ich mit Fremden aß. Ich räusperte mich. Sollte ich ihnen erzählen, wie es bei mir aussah? Ich entschied mich, dagegen und antwortete, dass ich keine Frau hatte. »Also sind Sie beide geschieden?«, fuhr Raquel fort. Ich stimme ihr zu, und versuchte mich auf mein Essen zu konzentrieren, aber sie ließ nicht locker. »So Monsieur ...«, fing sie wieder an und ich wusste, was mir bevorstand. Ein Name musste her. Ein armenischer Name. Und zwar schnell. Aber verdammt. Ich kannte keine armenischen Namen. Mir fiel nur der Nachname unseres arabischen Hausmeisters ein, also antwortete ich nervös: »Mohammed Al-Safah, aber Ali reicht.« Chris sah lächelnd zum Tisch.
Sie meinte zu Recht, dass mein Name sehr Arabisch klinge. Sie sehen selbst, diese Frau täuscht man nicht so leicht. Und wieder räusperte ich mich und antwortete knapp, dass meine Vorfahren aus Dubai stammen würden.
»Dubai interessanter Ort. Also sind Sie Muslime, Tom?«, hakte sie weiter nach und sah mich hämisch an. Dummerweise beantwortete ich die Falle mit einem »Ehm, ja – das ist korrekt.« Sie fragte mich, wie mir die Jumeiah Moschee dort gefalle und ich musste gestehen, dass ich noch nie dort war. Raquel war und ist noch heute, ein Talent darin mich bloß zu stellen.
Chris ermahnte sie, mich nicht so aus zu löchern, da ich zu essen versuche. Sie lächelte ihm aufgesetzt zu, sah mich an und bombardierte mich mit einer Frage, die ich nicht erwartet hatte. Sie fragte, wann mein letztes Mal gewesen wäre. Ich verschluckte mich unweigerlich und Chris fuhr sie an, nicht so intime Dinge zu fragen. Der Rest vom Abendessen verlief entspannter. Chris brachte eine oder zwei Flaschen Wein an den Tisch. So genau weiß ich das nicht mehr. Jedenfalls, tranken wir Wein, aßen Brot und lachten herrlich miteinander. Es war ein traumhafter Abend. Ohne es zu wissen, gewann ich bereits in dieser Nacht, zwei Freunde fürs Leben.
In diesem Abend legte ich mich mit gemischten Gefühlen ins Bett. Mein Herz pochte vor Aufregung und doch fühlte ich mich sehr erschöpft. Es war ein nettes kleines Zimmer mit blauem Anstrich. Ein Schrank, ein kleiner Tisch und ein Spiegel standen drinnen. Mehr brauchte ich nicht. Selbst, bei mir zu Hause stand nicht viel mehr drinnen. Viele Sachen gingen an Megan und die Kinder. In Momenten wie diesen, wo ich alleine war, musste ich an die Vergangenheit denken. Es ist so, als seien die Drei in einen Zug gestiegen und ohne mich weiter gefahren. Ich blickte ihnen vom Bahnsteig zu und verschwand in der Dunkelheit. Ihr Leben nahm neue Gestalt an, während meines sich auflöste und zerbrochene Erinnerung und Gefühle zurückließ. Ich hatte regelrechte Angst vor der Zukunft. Meine Gegenwart war schon schlimm. Wie sollten sich, die Dinge zum besseren wenden? Doch wie Robert Redford schon sagte, ›An der Vergangenheit festzuhalten ist gefährlich.‹ Jetzt war ich dort. Und das war gut so.
Das Aufwachen verlief recht chaotisch. Wir hatten Freitag, also einen Schultag. So kam es, dass ich um vier von Leos Geschrei-Orchester geweckt wurde und um sechs Uhr dreißig von Madeleines Gekreische. Trotz der lauten Geräuschkulisse war ich dankbar. Zu lange, war ich so einsam, dass das einzige vertraute Geräusch am Morgen, das Klingel meines Handyweckers war und die Stimme der Sprecherin im Frühstücksfernsehen. Obwohl ich noch ziemlich erschöpft war, stand ich hastig auf und begab mich zur Küche. Um nichts auf der Welt wollte ich ein Frühstück unter diesen Leuten verpassen. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Ich fühlte mich immer noch nervös und jeder Schritt, durch das Apartment, ließ mein Herz höher schlagen vor Angst. Doch wenn sie so lange allein lebten wie ich, dann genießen jeden Moment, der einem das Gefühl gibt, irgendwo hinzugehören. So erging es mir nämlich schon in Spanien. Diese Menschen, nahmen mich als wildfremden mitten in ihren Reihen auf. Wir teilten Frühstücksbrot, Konfitüre und den Kaffee miteinander. Ich konnte Raquel beim füttern von Leo zu sehen. Miterleben wie Chris Madeleine fertig machte, Raquel und mich verabschiedete und mit Madeleine verschwand. Während ich ihnen so zu sah, musste ich an meine eigene Familie denken. An die Zeiten, an denen es bei uns genau so ablief. Wo waren diese Zeiten hin? Sie gingen zu schnell vorbei. Die Kinder sind zu schnell groß geworden. Unsere Ehe zu schnell auseinandergedriftet. Oder war ich das Problem? War ich zu langsam gewesen, um mit dem Leben Schritt zu halten? Raquel bemerkte meine traurige Miene und fragte, ob ich Lust hätte mit ihr und Leo ein wenig Paris zu erkunden. Ich war etwas scheu. Schließlich wollte ich ihr keine Probleme bereiten. Sie war, aber genau so stur wie Chris und ignorierte meine Einwände. So fanden wir uns drei, kurzer Zeit später auf einem kleinen französischen Markt. Sie sah mich an und sagte mir, das Paris mehr zu bieten hätte als den Eiffelturm, Notre Dame und den Arc de Triomphe. Es ginge um die kleinen, fast schon verborgenen Dinge, die Paris zu Paris machten. So beobachtete ich sie, beim Verhandeln mit den Käufern auf dem Markt, tratschen auf Französisch mit einigen älteren Damen im Kaffee – wobei mir die Damen ständig zuzwinkerten und nichts verstand. Wirklich nichts!- begutachten einiger Gemälde bei der Ausstellung einer Freundin von ihr und beim Besuch einer kleinen Kirche. Es war mein erstes Mal seit langem, das ich wieder in einer Kirche war. In mir breitete sich eine seltsame Stille aus, während ich dort saß. Es fühlte sich an, als wäre es meine Pflicht hier zu sitzen und meine schlechte Gedanken Revue passieren zu lassen. Doch ich konnte es nicht. Ich wollte es nicht. Meine Situation schmerzte mich zu sehr, als mich mit meiner Schuld zu konfrontieren, also wandte ich meinen Blick zu Raquel. Sie saß da still neben mir und flüsterte unhörbar einige Worte. Ein Lächeln breitete sich über ihr Gesicht aus, während eine einsame Träne über ihre Wange lief. Alleine ihre Anwesenheit, beruhigte mich unendlich. Chris hatte mit ihr wirklich einen Treffer gelandet. Ich dachte mir nur, ob ich jemals wieder so ein Glück haben sollte, so eine Partnerin an meiner Seite vorfinden zu dürfen. So gerne ich auch anders gedacht hätte, sagte eine kleine Stimme in mir „nein“. Ich senkte meinen Kopf in Trauer, während sie neben mir ihr Gebet beendete. Sie starrte mich kurz an und sagte die Worte, die ich nie vergessen werde: »Tom. Siehst du das farbenprächtige Fenster da oben?« Ich blickte hinauf zu dem Kirchenfenster und sie fuhr fort mit: »Jedes für sich ist ein gebrochenes Stück. Jedes für sich erzählt seine eigene Geschichte. Manche sind heller, manche sind dunkler, doch am Ende ergeben sie, und nur sie alle zusammen, das wunderschöne, vielseitige und farbenprächtige Fenster. Es sind die kleinen und großen Momente. Die wundervollen und die schmerzhaften Erlebnisse, die das Leben so atemberaubend machen. Nur zusammen machen sie es erst lebenswert.« Ich blickte sie verstört an. Wer war sie? Und wie konnte sie, meine Gedanken lesen? Welche junge Frau spricht so? Sie fing an zu lachen und entschuldigte sich mit der Erklärung, dass sie eine ehemalige Philosophiestudentin sei. Ich konnte nicht anders, als zurück zu grinsen. Den Rest des Tages verbrachten, wir damit zu spazieren und über Dinge zu reden. Was wir mal gemacht haben, wie wir die Welt sahen, warum ich wegwollte, über ihren französischen Vater und ihre senegalesische Mutter, über meine Exfrau und die Kinder und über Chris Arbeit als Uhrenreparateur und seine unendliche Hilfsbereitschaft. Leo war unglaublich still bei dem allem. Er lag die meiste Zeit friedlich da und schlief, wenn er nicht gerade glücklich umher schaute. Ein wirklich beeindruckendes Kind. An der Seine setzten wir und auf eine Bank und betrachten das Wasser und die Boote. Es war der schönste Vormittag seit Langem.
Gegen Mittag gingen wir beide zurück, damit sie für Madeleine kochen kann. Ich hatte einen gemütlichen Heimweg erwartet, aber wie das Leben so ist, sind Erwartungen und Ereignisse, zweierlei Dinge. So kam, was kommen musste und Raquel stellte entsetzt fest, dass sie noch einige Zutaten vergessen hatte. An sich kein großes Problem, doch war der Ort, wo wir diese kauften, ein armenischer Laden. Mir war, das anfangs nicht bewusst. Ich sah die Schrift und die Leute und dachte mir nur, Ah, ›Muslimen‹. Drinnen im Laden begrüßte sie einen etwas korpulenteren Mann namens Sadir. Sie bezahlte einige Waren und während sie mit ihm, über dessen Familie und über Leo sprach, musste sie mich vorstellen. Und das, als Peter Mohammed Al-Safah, der Mann aus Armenien. Sadir sah verdrossen zu mir rüber und begann mich auf Armenisch anzusprechen. Der blanke Horror. Ich hätte nicht mal, die Wort nachsprechen können, geschweige darauf ne Antwort gewusst. Also nickte ich nur mit einem lauten »Hm« und einem peinlichen Lächeln. Raquel lachte. Später fand ich heraus, dass er mich gefragt hatte, wann ich ihr die Wahrheit gestehen möge. Es stellte sich raus, dass Raquel, natürlich von der ersten Sekunde an wusste, dass ich kein Armenier bin. Sie hatte dort ein Auslandsjahr gemacht und ein wenig von der Sprache, der Kultur und den Menschen gelernt. Ich gestand ihr, Amerikaner zu sein. Eine Tatsache, die sie auch sofort erkannt hatte. Ich war scheinbar zu schlecht, darin meinen Akzent zu verstellen. Sie erzählte mir, dass sie nichts gegen Amerikaner an sich hatte, sondern nur gegenüber, dessen politischen Ausrichtung und ich erwiderte, dass es mit der Politik sei wie mit der Kunst - Alles eine Frage der Perspektive. Sie sah mich kurz ernst an und fing dann an zu lachen. Wir kochten gemeinsam, irgendein französisches Rezept. Begrüßten Madeleine und Chris. Wir erzählten ihnen von dem peinlichen Missgeschick im armenischen Laden, Madeleine erzählte von einem fiesen Mädchen in der Schule und Chris von einer Kundin, die viel zu Dick war für die Uhr, die sie wollte. Alles in allem, war es ein Amüsantes beisammen sein. Ich erledigte den Abwasch, Chris und Raquel kuschelten auf dem Balkon zu einem Glas Wein und Madeleine machte ihre Hausaufgaben, während Leo entspannt schlief.
So vergingen die beiden Woche in einer Abfolge von ruhigen Tagen, in denen ich entspannt durch die Straßen schlenderte, wobei entspannt nur bedingt zutraf. Die richtigen Busse oder Straßen zu finden, war das reinste Chaos. Nie wusste ich, wo der Richtige abfuhr. Und Taxi war zu teuer, also endete es damit Passanten nach dem Weg zu fragen. Die meisten antworteten mir mit Handzeichen auf Französisch, wenn ich die Straßen nannte. So ging ich meistens in die Cafés und sprach direkt mit Kellner, da deren Englisch, meist gut war. Lange Rede kurzer Sinn. Ich fand jedes mal wieder Heim, genau wie der streunende Kater, den man morgens losschickt und abends wieder antrifft. Nur brachte ich keine Tierkadaver mit, sondern schmerzende Füße. Paris ist groß, sehr groß. Und meine Schritte kurz, sehr kurz. Sie sehen, wie die Gleichung aufgeht. So fand ich mich jede Nacht, platt im Bett wieder. Trotz allem war es herrlich. Auch wenn mich hin und wieder, das Heimfieber plagte. Es war Freitag und Sonntag würde mein Bus nach Rom abfahren. Ich dachte, es würde ein ruhiges Wochenende werden. Doch ich sollte mich irren. Erst in ihm offenbarten sich die verrückten Seiten Paris mir gegenüber.
Wir saßen am Tisch und aßen zu Mittag, als sich Chris zu mir wandte und mich fragte, ob ich schon eine Französin gefunden hatte, die mir gefiel. Nun, ja. Ich habe einige Frauen gesehen, die mir gefielen. Aber er wollte sicherlich, was anderes hören, also antwortete ich mit einem platten »Noch nicht.«
Raquel bemerkte darauf, dass ich ein gut aussehender Mann sei und es eigentlich ein Leichtes für mich sein sollte. Ich wurde schneller rot, als die Nase eines Boxers im Ring. Was antwortet man auf so eine Bemerkung, ohne arrogant zu wirken? Ich griff zu meinem alt bewährten, peinlichen Lächeln.
Chris sah sie an und sprach von einer Céline, der ich sicher gefallen würde. Raquel würgte diesen Vorschlag schnell ab. Sie meinte Céline, wäre zu sehr ein leichtes Mädchen und entspreche, damit nicht meinem Niveau. So gern ich sie korrigiert hätte, blieb ich stumm. Chris wandte eine Jolié ein, aber auch diese wurde, als zu offen betrachtet. Sie sei, nach drei Drinks nicht mehr kontrollierbar und geradezu animalisch fixiert auf das Eine. Sie merken, mir sind da einige Abenteuer entgangen. Danke Raquel. Chris blickte enttäuscht zum Tisch und Raquel überlegte kurz, bevor ihr eine zündende Idee einfiel. Sie schlug vor, zu dritt zum Moulin Rouge zu gehen. Es sollte diese Nacht eine klasse Show geben. Chris sprang sofort darauf ein. Nur ich blieb stumm. Ich kannte, dass Moulin Rouge, als exquisites Etablissement. Ein Laden, der garantiert nicht billig sein würde, was sich als richtig darstellte. Raquel las, ein weiteres Mal meine Gedanken und beruhigte mich mit der Info, dass sie noch drei Gutscheine hatte. Mir blieb keine Wahl und ich willigte ein. Der Tag nahm seinen Lauf und nicht bald stand ich schon vor meinem Koffer und blickte verzweifelt auf den Inhalt. Es war eine traurige, kleine Auswahl an diversen T-Shirts, Hosen, Hemden, Socken, Unterhosen vorzufinden, aber nichts, was diesem Anlass entspräche. Chris kam in einem eleganten Anzug herein und bemerkte erschrocken, dass ich immer noch nicht fertig sei. Ich sah ihn verzweifelt an und er erkannte blitzschnell das Dilemma. »Ich glaube, ich habe noch etwas für dich«, antwortete er und verschwand kurz, bevor er mit einem weißen Hemd, weißer Hose und einem blauen Jackett wieder kam. Ich fühlte mich mit den Sachen, wie ein arroganter Jachtbesitzer. Ihm zu Liebe trug ich sie trotzdem. Ich war verdammt aufgeregt. Raquel und Chris erwarteten mich bereits im Wohnzimmer. Sie sah unglaublich aus in ihrem schwarzen Abendkleid. Sie hatte ihre gelockten Haare, glatt gekämmt und trug einen dunklen Lippenstift. Beide sahen aus, wie aus einem Magazin. Raquel sah mich verwundert an und stieß ein beeindrucktes »Wow« hervor. Chris lächelte. Sie meinte, ich sehe aus wie David Beckham. Nun ja, ich hatte mein Bart gestutzt, meine Haare gekämmt und gegellt und trug Parfüm. Nichts Aufregendes. Zu dritt setzten wir und in ein Taxi und fuhren zur Boulevard de Clichy.
Der Eingang zum Club war prall gefüllt mit schönen Menschen. Ich blickte hinauf zur rot leuchtenden Windmühle und fühlte mich, wie in einer anderen Welt. Raquel nahm uns beide zur Seite und ging mit uns zu einem dunkelhäutigen Mann. Dieser stellte sich als ein ehemaliger Klassenkamerad heraus, der nun als Junior Manager, dort arbeitete. Armand hieß er oder Armin. So genau weiß ich, dass nicht mehr. Irgendwas mit A. Jedenfalls schleuste er uns in den Club und die Nacht konnte beginnen. Worte vermögen leider nicht zu erklären, wie ich mich dort drinnen fühlte. Alles wirkte so bizarr und anziehend zugleich. An der Decke hingen riesige rote Gardinen, begleitet von orange leuchtenden Lichterketten. Unzählige runde Tische mit roten Tischdecken standen im Raum. Vor ihnen eine atemberaubende Bühne. Es wimmelte voller elegant gekleideten Menschen. Ein Platzwart, brachte uns zu unserem Tisch, an dem bereits ein älteres Pärchen, ein Mann und eine Frau saßen. In binnen kürzester Zeit drückte man uns gefüllte Champagnergläser in die Hand. Verglichen mit Hooters, wo ich sonst aß, war das eine andere Liga. Nichts gegen Hooters. Wir stellten uns alle gegenseitig vor und tranken vergnügt. Ein Kellner sorgte stetig dafür, dass es ausreichend Nachschub gab. Die Frau neben mir, Marianne, glaub ich. Sah mich die ganze Zeit unentwegt an. Chris und Raquel, zwinkerten mir hämisch zu und ich erkannte, Marianne, saß nicht ohne Grund neben mir. Es muss einen vierten Gutschein gegeben haben. Sie war und ist, eine bildschöne Frau, aber nicht mein Typ. So unterband ich jegliche längere Konversation. Sie aber schien, meine Desinteresse, als Aufruf zu mehr Engagement zu begrüßen, denn sie schob sich näher an mich heran, legte ihre Hand auf meinem Schoss und begann kichernd, alles Mögliche zu fragen. Angefangen bei meinem Job bis hin zur Unterhosengröße. Ich war mir nicht sicher, wie ich mich verhalten sollte, also blieb ich so ruhig, wie es ging. Glauben Sie mir, sie machte es mir extrem schwer ruhig zu bleiben. Vor allem dann, wenn ihre Hand in Richtung Nordpol wanderte.
Ich blickte nervös zum freien Stuhl gegenüber von mir und versuchte einen klaren Gedanken zu fassen. Plötzlich erschien, da diese Frau. Ein Traum von einer Frau. Etwa um die Ende zwanzig, Anfang dreißig. Braune Haare, graue Augen und ein Lächeln, das ein Herz Samba tanzen ließ. Und nicht zu vergessen, eine Figur, wie man es nur aus den Magazinen kennt. Sie wissen diese, die man von den pubertierenden Kindern fernhält. In ihrem dunklen, grauen, engen Abendkleid nahm sie mir gegenüber Platz. Unsere Blicke kreuzten sich und ich wusste, dass diese Reise sich bereits jetzt gelohnt hatte. Marianne nahm meine Begeisterung, weniger erfreut wahr. Sie griff mir aggressiv in den Schoß und drückte Teile an mir zusammen, die ich unter allen Umständen, heil bewahren wollte. Chris sah, den Schweiß an meiner Stirn und fragte, ob alles okay sei. Ich hustete und entschuldigte mich, um ins Bad zu gehen. Marianne ließ sie los und ich stand auf, richtete meine Klamotten und ging ins Bad. Ich spürte ihren Griff auf dem gesamten Weg zum Bad über. Doch während ich da so lief, musste ich an diese Frau denken. In meinem Kopf lief ständig die Szene ab, wie sie Platz nahm und mich ansah.
Ich musste in eine Art Trance verfallen sein, denn kurzer Zeit später, fand ich mich in irgendeinem einsamen Gang wieder. Ich hatte mich verlaufen. Mir wollte der Weg zurück einfach nicht mehr einfallen. Glücklicherweise kam ein Mann im Smoking vorbei. Ich wandte mich zu ihm und erklärte ihm mein Dilemma. Eine Aktion, die sich als sinnlos herausstellte, denn der gute Mann sprach nur Französisch. Er blickte an mir stumm herab, weitete seine Augen und fuhr mich auf Französisch an. Ich wich erschrocken zurück und der Mann scheuchte mich in eines der Zimmer. Ein Haufen Frauen lief dort in Unterwäsche herum und zogen Kostüme an. Ich wurde schneller rot, als ein Alkoholiker im Weinkeller. Der Mann sprach währenddessen mit einer kleinen dicken Frau. Sie schienen, sich über etwas einig geworden zu sein, denn sie nickte und kam auf mich zu. Ich sprach sie an und erklärte ihr die Lage. Doch wieder umsonst. Nur Französisch. Eine weitere Frau kam dazu und beide begannen, mir irgendwelche Puder und Sachen ins Gesicht zu schmieren. Ich fühlte mich wie eine ausgenutzte Barbiepuppe. Ich wehrte mich und sprang auf. Beide sahen mich schockiert an und ich sagte ihnen, es sei genug. Ich wolle nur zurück zu meiner Traumfrau. Beim Wort „Traumfrau“ fingen beide an energisch miteinander zu reden und eine nährte sich mir und nahm mich an die Hand. Sie wiederholte, das Wort Traumfrau und ich nickte schüchtern. Ich vertraute ihr und ließ mich von ihr führen. Mir war alles egal, Hauptsache ich gelangte zu ihr wieder an den Tisch. Gemeinsam gingen wir durch ein verschachteltes System aus Gängen und Treppen. Wir betraten einen dunklen Raum mit großen roten Vorhängen an allen Seiten und einer erhöhten Plattform. Auf der Plattform stand ein rotes Sofa. Ich hörte eine weibliche Stimme irgendwo laut singen, die Vorstellung musste, also schon begonnen haben. Ohne mich. So typisch für mein Leben. Alles Gute fand, ohne mich statt. Sie setzte mich auf ein rotes Sofa und gab mir ein Mikro. Ich war zu verwirrt, um eine Frage zu stellen. Sie entfernte sich einige Schritte und sprach in ein Walkie-Talkie. Gerade, als ich aufstehen wollte, setzte sich das Sofa, auf das ich saß, in Bewegung und rollte rückwärts durch einen Vorhang. Ich klammerte mich ängstlich am Sitz fest und hörte, wie der Gesang und andere Stimmen lauter wurden. Das Sofa blieb stehen und ich blickte auf den Vorhang, durch, den ich soeben gefahren bin. Ich spürte Scheinwerfer auf meinen Nacken brennen. Alles in mir sagte: ›dreh dich nicht um, Tom. steh nicht auf. Lass es bitte nicht sein, was du denkst.‹ Und während ich um mein Leben bangte, begann das Sofa sich auf einer beweglichen Plattform zu drehen. Es dauerte nur wenige Sekunden und ich blickte in Richtung Publikum. Ich hatte es geschafft, an meinem ersten Abend im Moulin Rouge, gleich auf der Bühne zu landen. Ein Klassiker. Mein Herz pochte wie verrückt und ich wollte schreien, lachen, weinen, kotzen und sterben. Und das Alles zugleich. Das Leben verwehrte mir diese Optionen und so starrte ich stumm das Publikum an. Ich erspähte zugleich Raquel und Chris, die mich entgeistert ansahen. Mariannes Mund klappte auf und meine Traumfrau hielt sich kichernd, die Hand vor dem Mund. Ich zitterte und überlegte, wie ich am elegantesten von der Bühne komme, ohne jegliche Würde einbüßen zu müssen. Plötzlich trat eine blonde Frau zu meiner Linken und begann weiter zu singen. Sie wandte sich zum Publikum, drehte sich wieder zu mir und kniete sich stumm vor mich hin. Wie geht man in so einer Situation um? Ich sah mich schon in meinem geistigen Auge, bewusstlos neben ihr liegend. Eine Stimme würde hörbar und ich realisierte, sie kam von der Sängerin. Ich blickte zu ihr runter und sie flüsterte mir in Französisch etwas zu. Ich fragte sie, was sie meine und sie wiederholte auf Englisch, das mein Part dran sei. Mein Gesicht wurde blass und ich flüsterte ihr zu, dass ich am falschen Platz wäre. Sie entgegnete mir, dass es ihr bewusst war und ich nun die Show retten muss. Ich war zwar schon etwas angetrunken, aber so viel hatte ich nicht intus. Ich lehnte ab, doch sie sah mich nervösem Blick an. Ich zitterte noch heftiger und blickte verzweifelt, durch das wartende Publikum. Ein Flüstern breitete sich durch die Menge aus. Ich bettete um Hilfe, als mein Blick bei, der schönen Frau haften blieb. Sie lächelte mich begeistert an und ein Teil in mir – ein animalischer Teil – zwang mich zum Aufstehen. Ich kannte das Duett, das die Sängerin begonnen hatte sehr gut. Wer kennt „Something stupid“ von Frank und Nancy Sinatra nicht? Ich hob mit zittriger Hand das Mikrofon an meinen Mund und begann zu improvisieren. Ich summte wirre Töne ins Mikrofon und begab mich zum Fuße der Bühne. Ein Kellner stand dort mit einem Tablett voller Gläser. Ich griff zwei und ging damit zurück zum Sofa. Die Sängerin hob lächelnd die Hand, um mir eines abzunehmen, doch ich trank beide aus. Es tat mir sehr leid, doch ich brauchte genügend Sprit im Tank, wenn das hier, was werden sollte. Ich wandte nervös meinen Blick zur Menge und begann den männlichen Part vom Song einzustimmen. Sie müssen wissen, dass meine Stimme gut, aber nicht überwältigend ist. Sie würden schnell merken, wenn sie mich oder einen James Arthur vor sich hätten und ja, der Name ist mir ein Begriff. Ich bewegte mich wie trunkener Pinguin über die Bühne, mied jeglichen direkten Augenkontakt und versuchte die Töne zu halten. Die Sängerin stand auf, kam auf mich zu und packte meine Hüfte. Ich erschrak und sie stimmte mit ein. Stellen sie sich den Rest der Performance ungefähr so vor; Eine talentierte junge Sängerin, die sich glamourös und mit unglaublicher Stimme über die Bühne bewegte und ein trunkener Angsthasse, der beklommen über die Bühne humpelte und mit zitternde, aber guter Stimme seinen Text runter sang. Gemeinsam ergaben wir ein verstörendes Bild. Die Menschen im Publikum mussten bis an das Ende ihrer Tage traumatisiert sein. Es würde Klagen über Klagen fallen, doch ich sollte mich irren. Wir beendeten unseren Auftritt und die Scheinwerfer gingen aus. Gefolgt von schallendem Applaus und großem Jubel. Ich fühlte mich wie elektrisiert. Adrenalin floss durch jede Vene in meinem Körper. Irgendwie schien ich das Rampenlicht genossen, zu haben. Die Sängerin kam auf mich zu, drückte mir ein Kuss auf und jubelte mir auf Französisch zu. Die Assistentinnen beglückwünschten mich auch. Doch ich nahm kein langes Bad in den Lorbeeren, denn ich ergriff erfolgreich die erste Chance zur Flucht. Diesmal gelang mir der Weg zurück, durch das Labyrinth und ich fand mich wieder im Publikum. Auf dem Weg zum Tisch wurde ich noch von einigen Leuten aufgehalten und beglückwünscht. Ich gab sogar einige Autogramme. Wie ulkig. Am Tisch angekommen, nahmen Raquel und Chris mich unter Begeisterung auf. Marianne wirkte motivierter denn je, mich aus den Klamotten zu bekommen. Sie biss sich in die Lippen und flüsterte mir auf Französisch irgendwelche Dinge zu. Selbst das ältere Paar genoss, meine Performance. Sie alle jubelten, um mich herum. Nur die Frau im grauen Kleid nicht. Sie war weg. Auf meine Frage, wo sie war, antwortete Chris mit einem Schulterzucken. Raquel erzählte, dass sie nach meinem Auftritt ging. Tänzer betraten die Bühne und alle genossen den Rest des Abends. Nur ich starrte unentwegt auf den leeren Sitz und spürte, wie jegliche vorherige Euphorie meinen Körper verließ.
Wir verließen zu viert das Moulin Rouge und liefen gemütlich die Straße entlang. Chris und Raquel gingen gemeinsam voran und Marianne und ich folgten ihnen. Sie lief eingehakt neben mir und schwärmte von der Show und meinem Auftritt. Ich bekam von all dem nichts mit. Ich blickte traurig umher und sah, wie eine Frau im grauen Abendkleid ein Taxi verließ und in eine Seitengasse verschwand. Ich kann es Ihnen nicht erklären, aber alles in mir sagte, dass es sie war und wichtiger; das ich hinterher muss. Also entschuldigte ich mich bei allen und rannte los in Richtung Seitengasse. Es war eine seltsame und zwielichtige Gasse mit vielen roten Reklametafeln überall. Komische Gestalten kamen mir entgegen oder lehnten an großen Türen. Ich fragte eine davon, ob sie die Frau gesehen hatte. Der Mann antwortet mir mit einem Fingerdeuten in Richtung einer roten Tür. Ich begab mich eilig zur Tür, öffnete sie und fand eine Bar vor mir. Sie war zum Bersten gefüllt gewesen. Kaum Platz, um sich richtig zu bewegen. Ich sah die Menschen nicht mal richtig an. Ich wollte einfach nur ein wenig Freiraum, also drängte ich mich vor zur Bar Theke vor. Ich blickte aufgewühlt zum Barkeeper, der mit dem Rückengewand zu mir stand. Ich rief nach ihm und er drehte sich zu mir. Dieser Teil der Geschichte haut mich immer wieder um. Mich blickte ein Transsexueller mit arrogantem Blick an und fragte, wonach ich begehre. Ich war sprachlos. Ich hatte bis zu dem Zeitpunkt, noch keinen Transvestiten persönlich gesehen. Ich stammelte, während er mich stumm mit hochgezogenen Augenbrauen anstarrte. Tun Sie sich einen Gefallen und stammeln Sie keinen Transvestiten an. Kommt dumm rüber.
Nur ein kleiner Tipp, meinerseits. Ein weiterer Transsexueller im gelben Jackett und kräftiger Statur packte mich an der Schulter und fragte, ob ich ein Problem suche. Bevor ich antworten konnte, sagte eine wunderschöne Stimme, dass alles okay sei und ich zu ihr gehöre. Ich wandte meinen Blick zur Stimme und erblickte wieder die Frau. Sie stand mit gebundenen Haare und schwarzem, engem T-Shirt, hinter der Theke. Sie lachte. Wie viel Glück musste man haben um sich in so einer großen Stadt, zweimal in einer Nacht zu begegnen? Der Barkeeper, Roger hieß er, also Roger, erkundigte sich, ob sie mit mir klarkäme. Sie nickte und wandte sich mir zu. Gott war sie schön. Diese Lippen und die süßen Grübchen. Und nicht zu vergessen, die ansprechende Oberweite. Weiter führe ich meine Beschreibungen nicht aus, denn ich möchte nicht wie ein perverser erscheinen. Sie stellte sich als Chloé vor. Eine siebenundzwanzig Jährige, ehemalige Friseurin aus Los Angeles, Kalifornien. Ebenfalls wies sie mich auf ihren Arbeitsplatz hin. Eine Bar für Transvestiten. Ich sah mich um und merkte, dass ich bereits zur Hauptattraktion des Abends erklärt worden war. Das entnahm ich jedenfalls, den gierigen Blicken. Chloé und ich amüsierten uns prächtig. Ich freundete mich ebenfalls mit Roger und Gary an. Gary war mein vorheriger Angreifer. Chloé erzählte den Jungs oder ehm, wie auch immer, von meinem Auftritt. Sie lachten mich schallend aus und spendierten mir Cocktail nach Cocktail. Am Ende blieben nur Chloé und ich im Laden. Wir tranken gemeinsam und ich erzählte ihr von meinem Vorhaben, die Welt zu umreisen. Sie war begeistert und teilte mir mit, dass ihr der Gedanke, für kurze Zeit, auch durch den Kopf ging. Ihr Traum war es aber, nach Paris zu ziehen und ein verrücktes, ungezwungenes Leben zu führen. Ein Traum, den ich höchst bewundernswert finde. Sie schloss den Laden zu und ich bot ihr an, sie nach Hause zu begleiten. Chloé zögerte kurz und lief einfach los. Ich blieb wie angewurzelt stehen. So lange, bis sie mich fragte, ob ich lieber auf einen der Anderen warte oder nun kommen würde. Lange ließ ich mich nicht bitten und so gingen wir gemeinsam durch die Straßen Paris. Sie erzählte von ihrer Kindheit in Kalifornien und warum sie Abwechslung brauchte. Ich hingegen konnte meine Augen nicht von ihr nehmen. Sie ließ mich jegliches Zeitgefühl verlieren und gab Paris etwas Magisches. Wir machten vor einem kleinen Mehrfamilienhaus halt. Nun war der Moment, der Wahrheit gekommen. Ich fühlte mich, wie ein junger Mann, der seine Liebste zum Prom bittet. Sie sah mir die Nervosität an und sagte, dass ich mir keinen Kopf machen musste. Wir beide seien erwachsen und wir wüssten, dass es sich hierbei um nichts Langwieriges handle. So sah sie mich an und fragte, ob ich mit hochkommen möchte. Ich war begeistert und schockiert zu gleich. Wie konnte man nur so schön aussehen und so bodenständig und cool zugleich seien. Ein Phänomen, das ich so nur noch wenige Male auf meiner Reise beobachtete. Bevor ich antworten konnte, drehte sie sich um und ging die Treppe hoch. Ich rief »Warte«, doch sie ignorierte dies. Ich verfluchte mich. Währenddessen öffnete sie die Tür und ließ sie einen Spalt weit offen, nachdem sie rein ging. Nennen sie mich verrückt, aber wenn das kein Zeichen war, dann bin ich nicht Tom Lee Baker, der armenische, reisende Showsänger. Ich betrat, das Haus und was dann geschah, wandert nicht auf diese Seiten. Tut mir leid. Ein Mann darf seine Geheimnisse haben. Am nächsten Morgen verabschiedeten wir uns zärtlich und ich begab mich zurück zu Chris und Raquel. Inzwischen wusste ich gut, wie man das Bussystem nutzte. Wie es heute, bei mir und Chloé aussieht, lesen sie noch später. Chris und Raquel saßen noch am Tisch, als ich mit meinem Zweischlüssel – ja, ich hatte einen Zweitschlüssel. Sie lesen richtig – in die Wohnung kam. Sie sahen mich belustigt an. Ich ging in meinem Kapitänsgewand in Richtung Zimmer und fiel ins Bett. Chris kam zum Tür Rand und fragte, ob die Frau in grau so küsse, wie sie aussah. Ich antworte ihm, dass diese sogar besser waren. Er feierte diese Antwort, ermahnte sich aber gleichzeitig zur Ruhe. Raquel sollte nichts hören. Er sah mich an und sagte, dass ich ein Verrückter war und er noch nie gesehen habe, dass ein Mann eine komplette Show fake, um an seine Beute zu kommen. Wenn er nur wüsste, wie und warum ich da wirklich angelangt war. Samstag wurde für mich zum Ausnüchterungs- und Erholungstag. Am Abend aß ich noch ein letztes Mal mit Chris, Raquel und den Kindern. Während wir da so saßen, hielt ich meine Tränen zurück. Diese Menschen, hatten sich für immer in mein Herz geschlossen. Ich würde sie nie vergessen. Sie haben mir mehr gegeben, als ich je verlangen könnte und erwarteten nicht mehr, als mein aufgeschlossenes Herz. Wir lachten und ließen einige der besten Momente meines Aufenthaltes Revue passieren. Nach dem Essen besuchte ich nochmals Chloé und wir verabschiedeten uns auf französische Art, wie sie es nannte. Sie wollte nicht, dass wir Nummern austauschen, dies sei zu gewöhnlich. Ich solle sie mit einer Brieftaube am laufenden halten. Eine Brieftaube! Wer kommt auf so eine Idee? Als ob man mit Da Vinci ausging. Ich nahm die Idee lächelnd an und ging meines Weges Heim. Im Bett angekommen, dachte ich über die schlimmen Momente meines Lebens nach, doch ließen die Gedanken an Chris Familie und an Chloé, mich mit einem Lächeln einschlafen, während „Something stupid“ durch meinen Kopf surrte.
Das Erwachen verlief mit gemischten Gefühlen. Ein Teil von mir wollte nicht gehen und konnte sich ein Leben hier in Paris vorstellen. Doch eine stärker, tiefe Stimme, wusste, dass ich weiter musste. Chloé, Chris und Raquel würden dies auch so sehen. Sie würden es nicht mögen, dass ich meine Reise an ihrem Anfang beendete. Also packte ich meine sieben Sachen verabschiedete Raquel und die Kinder und fuhr mit Chris zum Flughafen. Sie war so lieb und hatte meine Sachen alle frisch gewaschen und mir einige Rezepte mitgegeben. Am Flughafen angekommen, wurde es erst richtig sentimental. Chris war mir schon wie ein kleiner Bruder ans Herz gewachsen und ich wusste, dass er ebenso empfand. Wir wechselten mit Absicht nicht viele Worte. Er drückte mir einen Zettel mit mehreren Adressen in die Hand und sagte, dass wenn ich in Senegal, Ghana, Kapstadt, Kairo oder Kongo bin, immer eine Person für mich da wäre. Seine Familie und sein Freundeskreis, seien groß und weit gestreut in Afrika. Ich wusste nicht, wie ich ihm dafür angemessen danken sollte, also umarmten wir uns und ich begab mich zu meinem Bus nach Rom.
Im Bus angekommen blickte ich auf einen weiteren Zettel. Er war von Chloé. Auf ihm Stand: „Erst Moulin Rouge, dann die Welt – Tom, rockt sie alle.“ Der Zettel ließ mich auf Lächeln und ich spürte eine Wärme in mir aufgehen. Abenteuerlust machte sich in mir breit und ich konnte, die Abfahrt kaum erwarten.
Italien ich komme!